In den vergangenen zehn Jahren beobachten Suchtforscher einen kontinuierlichen Anstieg des Cannabis-Konsums. Im gleichen Zeitraum ist – vor allem bei den jüngeren Erwachsenen (18 bis 25 Jahre) – eine deutliche Zunahme schwerwiegender psychiatrischer Erkrankungen festzustellen, die erstaunlicherweise eine ähnliche Dynamik wie beim Cannabis-Konsum zeigt, berichtete Prof. Dr. Wilson Compton vom National Institute on Drug Abuse (NIDA).
Besorgniserregend sind vor allem die Langzeitfolgen: Laut Prof. Wilson berichteten 40 % der Patienten mit schweren psychischen Erkrankungen, in den letzten 12 Monaten Cannabis konsumiert zu haben, verglichen mit 14% der gleichaltrigen Personen ohne psychische Krankheiten, so Prof. Wilson. Cannabis-Konsumenten haben im Vergleich zu Nicht-Konsumenten ein deutlich erhöhtes Risiko für Depression (Odds Ratio [OR]: 1,37), Angststörungen (OR: 1,18), Suizidgedanken (OR: 1,50) und Suizidversuche (OR: 3,46) [1]. Das Risiko für Psychosen wird durch Cannabis-Konsum mindestens verdreifacht, wobei die kumulative Dosis eine wichtige Rolle spielt [2]. Ob es sich dabei um einen kausalen Zusammenhang handelt oder um eine Assoziation mit anderen Variablen, die sowohl mit Cannabis-Konsum als auch mit Psychosen assoziiert sind, wurde lange Zeit kontrovers diskutiert.
Der THC-Gehalt hat sich verfünffacht
Anders als Alkohol, Kokain oder Metamphetamin ist Cannabis keine Monosubstanz, sondern ein Gemisch aus mehr als 400 verschiedenen Inhaltsstoffen und mehr als 120 Cannabinoiden, was die Ursachenanalyse erschwert. Die Konzentration von Tetrahydrocannabinol (THC) – und somit auch die psychoaktive Wirksamkeit – hat in den letzten 25 Jahren stetig zugenommen. Demgegenüber nahm die Konzentration des als protektiv geltenden Cannabidiol (CBD) ab und ist teilweise nicht mehr detektierbar.
Der THC-Gehalt habe sich verfünffacht, mahnte Compton. Das sei von Bedeutung, da der Konsum von sehr potenten Cannabis-Sorten (z. B. Skunk) mit einem besonders hohen Psychoserisiko verbunden ist [2,3]. So haben Konsumenten solcher hochpotenten Cannabis-Sorten ein bis zu 5-fach höheres Risiko für das Auftreten einer ersten psychotischen Episode im Vergleich zu Nicht-Konsumenten [2].
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Abb.1 : Zusammenhang zwischen Cannabis-Konsum und Psychosen [modifiziert nach: Prof. Deepak Cyril Dr Souza, West Haven/CT (USA)]
Kausaler Zusammenhang nahezu sicher
Auf Basis dieser Datenlage könne als gesichert angesehen werden, dass Cannabis eine erste psychotische Episode auslösen und langfristig auch eine Schizophrene verursachen könne, berichtete Prof. Dr. Deepak Cyril D’Souza, West Haven/CT (USA). Abhängig vom Zeitpunkt der Erstmanifestation und der Dauer der psychotischen Episode können drei verschiedene Manifestationsformen unterschieden werden (Abb. 2):
- Akute transiente Psychosen
- Akute persistierende Psychosen
- Chronisch rekurrente Psychosen (Schizophrenie)
Keineswegs zu unterschätzen ist das Psychoserisiko durch den Konsum synthetischer Cannabinoide, gab d’Souza zu bedenken. Diese Substanzen haben eine 10- bis 200-fach stärkere Affinität zum Cannabinoid-CB1-Rezeptor und somit eine wesentlich höhere psychoaktive Potenz als THC. Es sei nicht überraschend, dass in den USA und in West-Europa zunehmend mehr Patienten nach dem Gebrauch synthetischer Cannabinoide mit akuten Psychosen in die Notfallambulanzen eingeliefert werden, so d´Souza. Je jünger die Betroffenen sind, je häufiger und je länger sie Cannabinoide konsumieren und je stärker die psychoaktive Wirkung, desto größer sei laut d’Souza auch das Psychoserisiko. Frühe Kindheitstraumata und familiäre Vorbelastungen könnten dieses Risiko noch weiter erhöhen.
In einer großangelegten Genom-weiten Assoziationsstudie (GWAS) bei Cannabis Konsumenten (n=20.916) und Nicht-Konsumenten (n=363.116) wurden zwei genetische Varianten (Single Nucleotide Polymorphism, SNP) auf Chromosom 7 und 8 identifiziert, die mit einer „Cannabis Use Disorder“ gemäß DSM-5 assoziiert sind [4].Zudem stellte sich heraus, dass Cannabis-Konsum und eine „Cannabis Use Disorder“ auf genetischer Ebene positiv mit Schizophrenie und anderen Psychopathologien, einschließlich ADHS und Depression, korreliert sind [4].
2021 APA Annual Meeting: Scientific Session “Cannabis and Psychosis: Population, Neurobiological, and Treatment Services Perspectives”, 3. Mai 2021