Frühintervention bei schizophrenen Patienten kann langfristigen Outcome verbessern

Der Krankheitsverlauf der Schizophrenie kann langfristig günstig beeinflusst werden, wenn er früh entdeckt und behandelt wird. Davon profitieren Patienten, Familien und die Gesellschaft, betonten Experten auf einem Workshop mit engagierten Diskussionen auf dem EPA 2018.

Für die Früherkennung (FE) der Schizophrenie gibt es heute eine Vielfalt sensibler Screening-Instrumente. In allen europäischen Staaten sollten leicht zugängliche Möglichkeiten zur FE und Frühintervention (FI) sowie auf die Bedürfnisse dieser Patienten spezialisierte Mitarbeiter vorgehalten werden, sagte Prof. Anita Riecher-Rössler, Universität Basel, Schweiz.

Für Patienten mit frühen Symptomen eines deutlich erhöhten Risikos des Übergangs in eine Psychose („at-risk mental-state“ [ARMS]) kann mit einer Genauigkeit von 80% ein Übergang in eine Psychose vorhergesagt werden. Ein Drittel dieser Patienten entwickelt eine schizophrene Psychose, was - in vielen Fällen - durch wirksame Interventionen verhindert werden kann. Die anderen zwei Drittel brauchen Unterstützung beim Umgang mit ihren Symptomen, erklärte Prof. Riecher-Rössler.

Verzögerter Behandlungsbeginn verursacht gravierende negative Folgen für Patienten, Familien und Gesellschaft

Eine verzögerte Behandlung verschlechtert die Prognose schizophrener Patienten

Die zahlreichen negativen Folgen, die sich für Patienten, Familien und die Gesellschaft aus einer verzögerten Behandlung ergeben, wurden von Prof. Riecher-Rössler und Prof. David McDaid, London School of Economics, Großbritannien, hervorgehoben. Negative Folgen für den Patienten sind u.a.:

  • verzögerte und unvollständige Remission
  • erhöhtes Risiko des Verlustes von grauer Hirnsubstanz und kognitiver Verschlechterung
  • häufigere Krankenhauseinweisungen, teilweise aufgrund schlechter Adhärenz, die oft mit einem verzögerten Behandlungsbeginn einhergeht
  • erhöhtes Risiko für Depressionen oder Missbrauch von Alkohol und Freizeitdrogen
  • schwerwiegende Beeinträchtigungen der psychischen und sozialen Entwicklung sowie einer verminderten Lebensqualität

Auch die Familien schizophrener Patienten sind erheblich von einem verzögertem Behandlungsbeginn betroffen, häufig infolge größerer finanzieller und persönlicher Belastungen aufgrund des gesteigerten Versorgungsbedarfs. Die gesellschaftlichen Kosten resultieren aus einer hohen Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen sowie für die Betreuung durch die Sozialsysteme.

Entscheidungen über Investitionen in FI/FE-Dienste müssen über die Kosteneffizienz hinaus auch alle Kosten berücksichtigen, die entstehen, wenn diese Dienste nicht umgesetzt werden, stellte Prof. McDaid fest. Der Gesundheitsökonom verwies auf die Studien RAISE (Recovery After an Initial Schizophrenia Episode) des National Institute of Mental Health (NIMH). Sie zeigten, dass eine koordinierte spezialisierte Betreuung dieser Patienten kosteneffizient und wirksamer als die Standard-Behandlung ist – und dann am wirksamsten ist, wenn die Dauer der unbehandelten Psychose möglichst kurz ist. 

Nur wenige europäische Staaten verfügen über FE/FI-Richtlinien1 und -Diensten

Nur wenige europäische Staaten – Großbritannien, die Niederlande, die Schweiz und Spanien - verfügten über FE/FI-Richtlinien1 und entsprechende Einrichtungen. Prof. Marie Odile Krebs, Universität Paris Descartes, Frankreich, erklärte, dass die komplexe Struktur der Gesundheitsversorgung in Frankreich die Implementierung landesweiter Programme erschwert.

Viele nationale Schizophrenie-Guidelines enthalten FE/FI noch nicht

In den 23 Staaten Ost-, Mittel- und Südosteuropas sowie des Baltikums mit insgesamt 342 Millionen Einwohnern wurde das FE/FI-Konzept unterschiedlich implementiert, erklärte Prof. Nađa Marić-Bojović, Universität Belgrad, Serbien. Sie führte eine Befragung von Kollegen in diesen Ländern durch und fand heraus, dass zwar alle über nationale Schizophrenie-Guidelines verfügten, jedoch nur in 11 Ländern einschließlich FE/FI. Zwei Länder verfügten über einen nationalen FE/FI-Plan. Dabei bestand kein Unterschied zwischen Entwicklungs- und Industrieländern.

In Mittel- und Osteuropa sind FE/FI-Dienste eher die Ausnahme als die Regel und verdanken ihre Existenz eher engagierten Einzelpersonen und Organisationen statt einer strategischen Planung und Entwicklung, sagte Prof. Bojović.

Einrichtung von FE/FI-Richtlinien und -Diensten hat in ganz Europa hohe Priorität

Die Einrichtung von FE/FI-Richtlinien und -Diensten zur Verbesserung der Prognose schizophrener Patienten und zur Verringerung der Belastung durch finanzielle Aufwendungen und Unterstützungsleistungen durch die Familien und Sozialsysteme hat daher in ganz Europa hohe Priorität.

Die Umsetzung wurde bisher jedoch durch den fehlenden politischen Willen und die praktische Umsetzung von Interessenvertretern, der unzureichenden Koordination zwischen den Diensten sowie einen Mangel an Schulung und Supervision von Mitarbeitern behindert.

Lokale Rahmenbedingungen, Organisationsaufbau und Finanzierung sind Hindernisse für die Umsetzung von FE/FI-Diensten 

Prof. Riecher-Rössler schlug vor, mit Informations- und Schulungskampagnen für die Öffentlichkeit, gefährdete Personengruppen und medizinisches Fachpersonal diesen Hindernissen entgegenzutreten.

Der Schwerpunkt zur Durchsetzung des FE/FI-Modells liegt nun auf der Berücksichtigung lokaler Rahmenbedingungen, des Organisationsaufbaus sowie der Finanzierung und weiterer Faktoren, die sich entweder hemmend oder förderlich auf die Umsetzung auswirken. In Frankreich wird gerade eine Taskforce ins Leben gerufen, welche die Übertragung aller notwendigen Instrumentarien ins Französische organisieren und Anpassungen des FE/FI-Modells an die psychiatrische Gesundheitsversorgung in Frankreich vorschlagen soll. Frankreich ist nun bereit für einen nationalen Plan, kündigte Prof. Krebs an.

 

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