Sollen Antipsychotika so früh wie möglich nach der ersten Episode abgesetzt werden? Argumente und Gegenargumente waren Inhalt einer Diskussion auf der WCBP virtual 2021, welche unter dem Co-Präsidium von Siegfried Kasper (Medizinische Universität Wien, Österreich) und Peter Falkai (Medizinische Universität München, Deutschland) stattfand. Die Entscheidung steht noch zur Debatte.
Professorin Merete Nordentoft (Universitätsspital Kopenhagen, Dänemark), eine Befürworterin einer frühen Absetzung, begann die Session indem sie auf den hohen Anteil von Patientinnen und Patienten hinwies, die ohne Behandlung stabil bleiben können.
In einer Studie, bei der 496 Patienten mit einer Erstpsychose im 10-Jahres-Verlauf beobachtet wurden, war der Anteil Patienten mit und ohne antipsychotische Behandlung, die sich zum Zeitpunkt des Follow-Up in Remission befanden, vergleichbar. Nach 1, 2, 5 und 10 Jahren betrugen die Remissionsraten 23 %, 26 %, 24 % und 30 % bei den Patienten mit Medikation im Vergleich zu 37 %, 29 %, 29 % und 30 % bei jenen ohne Behandlung.1
Therapietreue liegt meistens in der Hand der Patientinnen und Patienten
Professorin Nordentoft betonte, dass Kliniker nur geringen Einfluss auf die Entscheidung haben, die Therapie abzubrechen, da es die Patienten sind, die entscheiden, die Medikation abzusetzen.
Es sind die Patientinnen und Patienten selbst, die entscheiden, die Medikamente abzusetzen, nicht die Ärzte
Die Anzahl der Patienten, die die Medikation absetzen möchten, ist gross - wir müssen wissen, bei welchen Patienten dies ratsam ist. Derzeit läuft eine naturalistische Studie, in der Patienten, die sich nach einer Erstpsychose in Remission befinden und ihre Medikamente absetzen möchten, monatlich anhand der SAPS-Skala (Skala zur Bewertung positiver Symptome) beobachtet werden. Zudem wird in diesem Zusammenhang an der Aufzeichnung von Warnzeichen auf dem Smartphone gearbeitet.
Ein Therapieabbruch kann schwerwiegende Folgen haben
Professor Robin Emsley (Fakultät für Medizin und Gesundheitswissenschaften, Universität Stellenbosch, Südafrika) sprach sich gegen einen vorzeitigen Behandlungsabbruch aus und nannte dafür fünf eindeutige und einfache Gründe:
- Nahezu alle Patientinnen und Patienten erleiden einen Rückfall. Aus der Literatur geht hervor, dass in Kurzzeitstudien die Rückfallquote 12 Monate nach dem Absetzen der Therapie nach einer ersten psychotischen Episode bei etwa 80 % liegt.2-4
- Ein Therapieabbruch kann schwerwiegende Folgen haben und u.a. Patienten und Betreuer in eine Notlage versetzen, die Genesung verzögern, ein erhöhtes Risiko für Suizid und Homizid bergen und die Unterbrechung von Ausbildung und Erwerbstätigkeit zur Folge haben.5
- Rückfälle spielen eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von therapierefraktären Psychosen.6
- Keine Absetzstrategie hat sich als wirksam erwiesen.3,4
- Es gibt keine bestätigten Alternativen zur antipsychotischen Medikation.
Die antipsychotische Erhaltungstherapie sollte auf unbestimmte Zeit fortgesetzt werden, und zwar mit der niedrigsten wirksamen Dosis
Weiterer Forschung in diesem Bereich sollte höchste Priorität eingeräumt werden; unterdessen wird aufgrund der verfügbaren Erkenntnisse und Erfahrungen empfohlen, die antipsychotische Erhaltungstherapie bei Patienten, die auf die Behandlung angesprochen haben, auf unbestimmte Zeit mit der niedrigsten wirksamen Dosis fortzusetzen, erklärte Professor Emsley.7
Kliniker sollen in den Absetzungsprozess einbezogen werden
Professorin Nordentoft betonte, dass der Absetzungsentscheid im Allgemeinen nicht klar abgegrenzt sei und von Fall zu Fall getroffen werden sollte, je nach Risikoprofil des Patienten.
Professor Emsley unterstrich, dass vor dem Abbrechen der Behandlung zuerst klargestellt sein sollte, bei welchen Patienten wie und wann abgebrochen werden kann. Als verantwortliche Ärzte sollten wir die Fortsetzung der Medikation empfehlen. Ist jedoch die Patientin oder der Patient entschlossen, die Behandlung abzubrechen, ist es besser, wenn der Kliniker in den Abbruchprozess einbezogen wird.