Was bedeutet Partialagonismus? Was verbirgt sich hinter einem Rezeptorprofil? Welche Rolle spielt die Pharmakogenetik? Die Antworten auf diese Fragen können helfen, für Patienten mit Schizophrenie die individuell optimale Medikation zu eruieren. Sehen Sie den Vortrag von Prof. Dr. rer. nat. Pierre Baumann in voller Länge.
Präsentation von Prof. Pierre Baumann anlässlich der Lecture Tour der Privatklinik Meiringen im Januar 2021
Was bedeutet Partialagonismus? Welche Rolle spielt die Pharmakogenetik? Die Antworten auf diese Fragen können helfen, für Patienten mit Schizophrenie die individuell optimale Medikation zu eruieren.
Anlässlich der Lecture Tour der Privatklinik Meiringen lieferte im Januar 2021 der Pharmakologe Prof. Pierre Baumann (Prof. hon., Dr. rer. nat., Lausanne) als ausgewiesener Experte auf diesem Gebiet einen vertieften Einblick in die Pharmakodynamik und Pharmakokinetik der Partialagonisten.
Das Wichtigste in Kürze
Die neuroanatomische und neuropharmakologische Hypothese der Schizophrenie
Bei der Schizophrenie erfüllt der Thalamus seine Rolle als Filterorgan für externe Stimuli nicht ausreichend. Zahlreiche Neurotransmitter sind involviert1. Obwohl die Dopamin-Hypothese überwiegt, wird heute weithin angenommen, dass bei Psychosen neuronale Netzwerke jenseits der klassischen dopaminergen mesolimbischen Bahnen involviert sind, einschliesslich der Serotonin- und Glutamat-Systeme2 sowie möglicherweise GABA und Noradrenalin1.
Sensorische Informationen werden von den Thalamuskernen zu den pyramidalen Neuronen im limbischen Cortex und Neocortex über glutaminerge stimulierende Afferenzen geleitet. Verschiedene subkortikale Kerne erleichtern die Reaktion der Neuronen: Das Dopamin des Nucleus tegmentales anteriores aktiviert D1- und D2- Rezeptoren, welche die neuronale Reaktion auf Glutamat erhöhen. Das Serotonin des Nucleus raphes dorsalis aktiviert 5-HT2A-Rezeptoren, welche die Freisetzung von Glutamat an den Nervenendigungen erleichtern. Eine exzessive Reaktion der pyramidalen Neurone könnte somit der verantwortliche Mechanismus für eine Psychose sein1.
Wirkmechanismen der partiellen Dopamin-Agonisten
Die Schizophrenie zeichnet sich durch eine dopaminerge Dysfunktion aus. Mit wenigen Ausnahmen wirken alle Antipsychotika als Dopamin D2-Antagonisten. Die Einführung der partiellen D2-Agonisten stützt sich auf folgende Hypothese:
- Die dopaminerge Transmission in den mesolimbischen Bahnen bei der Schizophrenie ist erhöht und bewirkt Positivsymptome wie Wahnvorstellungen, Halluzinationen und ungeordnete Gedankenstränge3,4. Bei Anwesenheit von Dopamin bewirkt z.B. Aripiprazol eine dosis-abhängige Hemmung der Dopamin-Wirkung am Dopamin-D2-Rezeptor, sie beträgt jedoch max. 75%5. Der partielle Dopamin-Agonist wirkt hier wie ein funktioneller Antagonist.
- Die dopaminerge Transmission in den mesokortikalen Bahnen ist bei der Schizophrenie reduziert und bewirkt die Negativsymptome wie Alogie, affektive Verflachung, Antriebslosigkeit, sozialer Rückzug, Freudlosigkeit, Apathie sowie kognitive Beeinträchtigung3,4. Bei Abwesenheit von Dopamin, bewirken partielle Agonisten eine dosisabhängige Stimulierung der Dopamin-D2-Rezeptoren, aber weniger ausgeprägt als jene, die durch Dopamin bewirkt wird5. Der partielle Agonist wirkt hier wie ein funktioneller Agonist.
Einfluss von Antipsychotika auf noradrenerge Rezeptoren
Das zentrale Noradrenalin-System vermittelt die Alarmreaktion bei Stress. Eine noradrenerge Dysfunktion verursacht die bei funktionellen Psychosen beobachteten Abnormalitäten im Erregungsniveau. Eine Überaktivität des Systems erhöht das Erregungsniveau und verstärkt die emotionale Reaktion auf Stress, was sich in einer Häufung von Symptomen wie Schlaflosigkeit, Angst, Reizbarkeit, emotionaler Instabilität und übertriebener Angst oder Aggressivität äußern kann (Hyperarousal-Symptome). Eine Unteraktivität des Systems senkt das Erregungsniveau und schwächt die Alarmreaktion, was zu Hypersomnie und Unempfindlichkeit gegenüber Stress führen kann (Hypoarousal-Symptome)6.
Die Wirkung von Antipsychotika auf noradrenerge Rezeptoren stützt sich auf folgende Hypothese zur Rolle von Noradrenalin in der Schizophrenie7:
- Die Blockade von α1-Rezeptoren: Bessert positive Symptomatik
- Die Blockade von α2-Rezeptoren: Bessert negative und kognitive Symptome
- Der α2c-Antagonismus: hat möglicherweise prokognitive Effekte und bessert Angst und Depression
Eine besondere Rolle spielt hier Brexpiprazol: Im Gegensatz zu anderen atypischen Antipsychotika weist Brexpiprazol eine vergleichsweise hohe Affinität zum alpha-2c-Rezeptor auf und wirkt dort antagonistisch8. Mögliche klinische Implikationen wären in Studien zu untersuchen.