Der 35. Kongress des European College of Neuropsychopharmacology, der am 15. Oktober, in Wien eröffnet wurde, vereint mehr als 5’000 Psychiater, Neurowissenschaftler, Neurologen und Psychologen aus aller Welt, um die neuesten Entwicklungen bei der Erforschung und Behandlung von Hirnleistungsstörungen zu betrachten. Der Vormittag der Tagung war Satellitensymposien gewidmet, der Nachmittag Fortbildungs-Sessions, Symposien, Patienten-Workshops sowie den «Top Papers»- und «Love your Brain»-Sessions. Bita Moghaddam, Ruth-Matarazzo-Professorin für Verhaltensneurowissenschaften an der Oregon Health and Science University in Portland, Oregon, hielt den Plenarvortrag über die Entstehung von Glutamat-Modellen für Psychosen. Der erste Tag endete mit der Präsentation neuer Daten in einer ePoster-Sitzung. Wir fassen hier die Themen und Highlights von Tag 1 dieses hybriden Kongresses (Präsenz- und Online-Teilnahme) zusammen, der Themen wie menschliches Wohlergehen und Verhalten, Grundlagenforschung und klinische Versorgung abdeckte.
Gemeinsam gegen Depressionen
Mehrere der Industriesymposien befassten sich mit verschiedenen Aspekten der Behandlung von Patienten mit Depressionen und komorbiden Angstzuständen vor dem Hintergrund, dass:
- Depressionen eine der Hauptursachen für vermeidbares Leiden in der Welt sind, von der schätzungsweise 322 Millionen Menschen betroffen sind1 und die enorme wirtschaftliche Folgen für Regierungen hat.
- Die COVID-19-Pandemie zu einem Anstieg der Angststörungen und der depressiven Störungen um >25 % im Jahr 2020 geführt hat, was Lancet und die World Psychiatric Association dazu veranlasst hat, eine «United Action on Depression» zu fordern.2,3
«Es überrascht nicht, dass die neuste Lancet-Kommission sich einem gemeinsamen Vorgehen – einem Ruf zu den Waffen – verpflichtet, das darauf abzielt, Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit Depressionen besser zu behandeln und zu verhindern.» – Professor Raymond Lam, Vancouver, Kanada
Die funktionelle Remission ist ein patientenorientiertes Ziel der Behandlung depressiver Episoden
- In den Symposien wurde der Bedarf an wirksamen Behandlungen, die zur funktionellen Remission führen, vorgestellt sowie die Belastungen aufgezeigt, die depressive Episoden für den Einzelnen als auch für die Gesellschaft darstellen.
- Patienten mit depressiven Episoden erhoffen sich durch die Behandlung eine funktionelle Remission, die dazu beiträgt, ihre Stimmung zu heben und ihnen die Rückkehr zu einem erfüllten Arbeits-, Familien- und Sozialleben zu ermöglicht.
«Patienten betrachten ihre Funktionsfähigkeit als das Hauptziel der Behandlung, die ihnen helfen soll, wieder ein erfülltes Arbeits-, Familien- und Sozialleben zu führen.» – Professor Andrea Fagiolini, Siena, Italien
Frühzeitig handeln, um das Ansprechen auf die Behandlung depressiver Episoden zu optimieren
- Die frühzeitige Evaluation und Identifizierung eines partiellen Ansprechens ist entscheidend für die Verbesserung der Behandlungsergebnisse bei Patienten mit depressiven Episoden.
- Aktuelle Forschungsergebnisse bei Patienten mit depressiven Episoden, die in der Vergangenheit suboptimal auf die am häufigsten verwendeten Antidepressiva ansprachen, wurden vorgestellt – unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf depressive Symptome, Verträglichkeit, Funktionsfähigkeit und andere Patientenergebnisse.
- Eine Übersicht über die Leitlinien hob die klinische Wirkung und das optimale Timing von Behandlungsstrategien bei Patienten mit unzureichendem Ansprechen hervor - wie z. B. die Erhöhung der Antidepressiva-Dosis, die Umstellung auf ein anderes Antidepressivum oder die Augmentation.
«Wir müssen wachsam sein, um Unverträglichkeiten, teilweise unzureichendes Ansprechen und ein Wiederauftreten der Krankheit bei depressiven Episoden zu erkennen. Je früher wir dies erkennen, desto erfolgreicher werden die Ergebnisse sein.» – Professor George Papakostas, Boston, USA
Behandlung komorbider Depressionen und Angststörungen im Hinblick auf die vollständige funktionale Remission
- Angststörungen, einschliesslich der GAD (Generalized Anxiety Disorder, generalisierte Angststörung GAS), sind häufig komorbid mit depressiven Episoden und verstärken die nachteiligen Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit und die Krankheitslast dieser Patienten.
- Jüngste Erkenntnisse zeigen, dass bestimmte Antidepressiva bei Patienten mit depressiven Episoden und GAD die funktionellen Ergebnisse und die Lebensqualität deutlich verbessern.
«Wir verfügen über Behandlungen, die speziell auf Patienten mit komorbiden Depressionen und Angststörungen zugeschnitten sind und die nicht nur Krankheitssymptome, sondern auch die Funktionsfähigkeit und die Lebensqualität verbessern.» – Professor Andrea Fagiolini, Siena, Italien
Jenseits der Symptomkontrolle bei Schizophrenie
Symposien zum Thema Schizophrenie befassten sich mit der Optimierung der Langzeittherapie und der Patientenperspektive bei der Festlegung von Behandlungszielen.
- Die Behandlungsziele sollten bei Schizophrenie über die Symptomkontrolle hinaus reichen und eine klinische Besserung, eine funktionelle Remission, eine bessere gesundheitsbezogene Lebensqualität und die Verwirklichung der persönlichen Lebensziele des Patienten fördern.4
- Es wurde festgestellt, wie wichtig es ist, einen langfristigen Behandlungsplan zu entwickeln, der das Risiko eines Rückfalls minimiert und die verbleibenden Symptome behandelt.
- Es wurde betont, dass die Behandlungsziele auf die Bedürfnisse und Präferenzen des Einzelnen zugeschnitten sein sollten und dass Kommunikationstechniken wie gemeinsame Entscheidungsfindung (Shared Decision Making) und Motivationsgespräche dazu beitragen, die Patienten einzubinden und die Akzeptanz und Adhärenz der Behandlung zu verbessern.
«Die gemeinsame Entscheidungsfindung ist von entscheidender Bedeutung, und die Vorgehensweise der Kliniker könnte in einem Szenario, in dem die Patient:innen ihre Erfahrung einbringen, wirksamer sein, denn die Patienten haben am eigenen Leib erfahren, worum es bei der Krankheit geht.» – Professor Stephan Heres, München, Deutschland
Plenarvortrag
Professorin Bita Moghaddam stellte Forschungsarbeiten vor, die sich auf das Verständnis der neuronalen Grundlagen komplexer Verhaltensweisen beziehen, die für die psychische Gesundheit von grosser Bedeutung sind. Sie unterstrich die Fortschritte beim Einsatz von Tiermodellen zur verbesserten Behandlung von Schizophrenie. Ihre Arbeit hat zur Entdeckung chemischer Verbindungen beigetragen, die zur Behandlung von Schizophrenie auf metabotrope Glutamatrezeptoren abzielen.