Partielle Dopamin-Agonisten bilden innerhalb der atypischen Antipsychotika eine eigene Klasse. Lesen Sie, was Dr. med. Philipp Eich, Basel und Dr. med. Kerstin Gentsch, Meiringen am SGPP-Kongress 2019 dazu aus ihrer Praxis berichteten.
BERN – Die Wirkung der Antipsychotika in der Behandlung der Schizophrenie beruht im Wesentlichen auf der Blockade der Dopamin-D2-Rezeptoren, wodurch die Positivsymptome gut kontrolliert werden; es können aber unerwünschte Wirkungen wie extrapyramidale Störungen auftreten. Mit den sogenannten partiellen Dopamin-Agonisten, die eine eigene Klasse innerhalb der atypischen Antipsychotika bilden, kann es gelingen, zusätzlich zur Positiv- auch die Negativsymptomatik anzugehen und das Risiko von Nebenwirkungen weiter zu vermindern.
Antipsychotika: eine 70-jährige Geschichte
In den 1950er Jahren läutete die Entwicklung von Chlorpromazin die moderne Psychopharmaka-Therapie ein [1]. Ihm folgten weitere Neuroleptika, sogenannte Antipsychotika der ersten Generation wie Promazin, Flupentixol oder Haloperidol. Ihre Wirkung bei der Behandlung der Schizophrenie beruht im Wesentlichen auf dem Dopamin-D2-Rezeptor-Antagonismus [2]. Dies führt zu einer guten Wirkung auf die Positivsymptomatik (z.B. Wahn, Halluzinationen), die Negativsymptome (z.B. Affektverflachung, Antriebsmangel) werden jedoch kaum beeinflusst oder sogar verschlechtert. Aufgrund der potenten D2-Rezeptor-Blockade haben die Antipsychotika der ersten Generation durch Hemmung anderer Dopaminbahnen als der mit Absicht modulierten mesolimbischen Leitungsbahn im Gehirn ein relativ hohes Risiko schwerer unerwünschter Wirkungen wie extrapyramidale Symptome (EPS) oder Prolaktinerhöhung mit in der Folge möglicher sexueller Funktionsstörungen, Galaktorrhoe oder Gynäkomastie (Abb. 1) [3].
Mit der Zulassung von Clozapin (in der Schweiz 1972) wurden die sogenannten atypischen Antipsychotika oder Antipsychotika der zweiten Generation eingeführt [4]. Sie unterscheiden sich von denen der ersten Generation in einer schwächeren Affinität zum D2-Rezeptor, zusätzlich aber einer hohen Affinität für den Serotonin-5-HT2A-Rezeptor [1]. Klinisch zeigen diese atypischen Antipsychotika wie zum Beispiel Olanzapin, Risperidon oder Quetiapin eine Wirksamkeit sowohl in der Behandlung der Positiv- als auch der Negativsymptomatik, mit geringerem Risiko für EPS und Prolaktinerhöhungen. «Atypische Antipsychotika der zweiten Generation sind wirksam, aber nicht unproblematisch, denn sie haben auch eine breite Nebenwirkungspalette», erklärt Dr. med. Philipp Eich, Basel, an einem Symposium von Lundbeck am SGPP-Kongress 2019. «Leider», so Eich weiter, «sind auch bei den Zweitgeneration-Antipsychotika Akathisien oder extrapyramidale Symptome nicht vollständig aus der Welt geräumt, es können weitere therapielimitierende Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme, QT-Zeit-Verlängerung, sexuelle Dysfunktionen oder Blutbildveränderungen vorkommen.»
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(Abbildung 1)
Partielle Dopamin-Agonisten: Wirksam im gesamten Schizophrenie-Spektrum
Eine neue Ära in der Behandlung der Schizophrenie wurde 2004 mit der Einführung von Aripiprazol, dem ersten atypischen Antipsychotikum der dritten Generation, eingeläutet [3, 5]. In dieser Klasse folgte 2018 Cariprazin, 2019 Brexpiprazol (Rexulti®). Diese Antipsychotika wirken durch einen partiellen Agonismus am D2-Rezeptor und zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich, abhängig von der Dopaminkonzentration, als Agonisten oder Antagonisten am D2-Rezeptor verhalten [6]. Das heisst, bei einer Dopamin-Überfunktion, wie sie bei schizophrenen Störungen in der mesolimbischen Bahn auftritt und für die Positivsymptomatik verantwortlich ist, wirken sie als Dopamin-Antagonisten. In der mesokortikalen Bahn hingegen liegt bei Schizophrenie eine Hypoaktivität des Dopamins vor, was Negativsymptome auslösen kann. Dort wirken sie als Agonisten (Abb. 1) [7]. Brexpiprazol zeigt neben seiner partial-agonistischen Wirkung auf Dopamin (D2 und D3) auch einen partiellen Agonismus am Serotonin-5-HT1A-Rezeptor und einen Antagonismus am 5-HT2A-Rezeptor und an einigen α-Rezeptoren [8, 9]. Aufgrund dieses speziellen Rezeptorprofils zeigt Rexulti® eine Wirksamkeit auf das gesamte Spektrum der Schizophrenie-Symptomatik [10].
Fallvignette
Selbstzuweisung eines 26-jährigen Patienten mit einer bekannten paranoiden Schizophrenie seit dem 22. Lebensjahr. Zunächst gute Entwicklung, Matura. Danach erfolgte ein deutlicher Leistungsknick. Der Patient konnte keine Ausbildung machen und wurde IV-berentet. Er zeigte in der Psychose selbstverletzendes Verhalten (Schnitte an den Armen, Drähte in den Arm geschoben). Es folgten vier Hospitalisationen mit diversen Medikationen. So erhielt er als Notfallmedikation schon einige Male Haloperidol, Diazepam und Biperiden. Der erste Therapieversuch war mit Olanzapin. Dies hatte er nach einigen Monaten wegen massiver Gewichtszunahme gestoppt. Der zweite Versuch erfolgte mit Risperidon, das er auch selbständig wegen Müdigkeit abgesetzt hat. Danach wurde ein Therapieversuch mit Amisulprid gestartet, welchen der Patient dann wegen erektiler Dysfunktion abgebrochen hat. Aktuell klagt der Patient über «befehlende Stimmen im Kopf, wie Stromschläge im Kopf als Bestrafung». Der psychopathologische Befund zeigt einen deutlich geplagten, misstrauischen, antriebsgeminderten, verlangsamten, gesperrten Patienten mit imperativen akustischen Halluzinationen und Schlafstörungen. Akut erfolgt eine Notfallmedikation mit 5 mg Haloperidol, 5 mg Diazepam und 4 mg Biperiden. Der Patient war lange nicht krankheitseinsichtig und hatte mit seiner Diagnose gehadert. Nun ist er aber krankheitseinsichtig und war bereit für eine Behandlung. Er verweigert jedoch die ihm bekannten Antipsychotika aufgrund der Nebenwirkungen, die er bereits erfahren hat. Er gibt dann aber sein Einverständnis für eine nebenwirkungsarme Medikation mit Brexpiprazol. Dieses wird schrittweise auf 4 mg über 14 Tage aufdosiert. Unter dieser Monotherapie mit Brexpiprazol treten bisher keine neuen psychotischen Symptome auf. Der Patient zeigt ein gutes Ansprechen und eine gute Verträglichkeit.
Dr. med. Kerstin Gentsch, Privatklinik Meiringen, kommentierte den von ihr vorgestellten Fall: «Der Patient hatte zu Anfang ein gutes Funktionsniveau, er hat die Matura gemacht und eine unterstützende Familienstruktur. Vielleicht wäre es in so einem Fall besser gewesen, man hätte gleich das nebenwirkungsarme Brexpiprazol eingesetzt. » So wäre vielleicht sogar der Einstieg ins Berufsleben möglich gewesen, was nun natürlich viel schwieriger sei. Es sei ja auch bekannt, dass häufiges An- und Absetzen von Antipsychotika Rezidive und oftmals eine kontinuierliche Verschlechterung verursache.
Drei atypische Antipsychotika der dritten Generation: Ähnlichkeiten und Unterschiede
Betreffend Wirksamkeit sind die drei Antipsychotika der dritten Generation Aripiprazol, Cariprazin und Brexpiprazol miteinander vergleichbar, mit einer NNT (number needed to treat) von 7 für Brexpiprazol, 8 für Aripiprazol und 10 für Cariprazin [8, 11]. «Für uns Kliniker sind natürlich die praktischen Aspekte sehr wichtig», fügt Dr. Eich an, «für alle drei gilt: eine Pille pro Tag, keine QT-Zeit-Verlängerung und keine relevante Prolaktinerhöhung.» Sie unterscheiden sich jedoch bei anderen Nebenwirkungen. Akathisie tritt unter Brexpiprazol klar am seltensten auf (number needed to harm, NNH = 112), gefolgt von Aripiprazol (NNH = 25) und Cariprazin (NNH = 15). Am wenigsten Somnolenz erzeugt Cariprazin (NNH = 100), gefolgt von Brexpiprazol (NNH = 50) und Aripiprazol (NNH = 20). Bei der Gewichtszunahme unterscheiden sich die drei weniger deutlich (NNH Cariprazin = 34, Aripiprazol = 21, Brexpiprazol = 17) [8]. Es ist zu beachten, dass diese Daten nicht aus Head-to-Head-Studien stammen, sondern immer im Vergleich zu Placebo entstanden sind. «Partielle Dopamin-Rezeptor-Agonisten wie Rexulti® sind wirksame, gut verträgliche Substanzen, die auch langfristig eingesetzt werden können. Ich denke, diese Antipsychotika der dritten Generation sind eine zukunftsträchtige Substanzklasse», resümierte Dr. Eich zum Schluss seines Referates.
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